WG204 – Briefentwurf an Alma Mahler
Berlin, Samstag, 23. September 1911
Durch meine Wege
schlingt sich das
Hoffnungsband
Denn Liebe zu Dir
umfaßt meine ganze
Existenz, jetzt und
immer – dessen bin
ich sicher. Zu welchem
Ende – das mögest
Du entscheiden.
Durch Dich wächst
immer das Streben
nach größerer Rein-
heit und Klarheit
Ich kann Dich mir eben-
sowenig aus dem Herzen
reißen, wie ich die Farbe
meiner Augen zu
ändern vermöchte,
und das, weil mir das
seltene Glück zu Teil
geworden ist, das Bild
meiner Träume u
Hoffnungen in den
Armen zu halten, ohne
das die Wirklichkeit
hinter dem Traum
zurück blieb.
Ich habe Dir einmal
so eine törichte Antwort
gegeben, als Du mich frag-
test, was ich tun würde,
wenn Du mir die Treue
brächest – daran denke
ich jetzt oft
Du hast Recht, auch
diese Zeit bringt mir
nur inneren Gewinn
Die Erkenntnis kommt
etwas langsam aber wenn
sie da ist, so weiß ich was zu
tun ist
verzeih, wenn ich mit un-
zartem Griff in die
Harfe Deiner Gefühle
faßte – ich dachte nur
immer: „nimm mich fest
bei der Hand und lasse mich
nicht los!“ Nun weiß ichs besser
Unsagbar dankbar bin
ich für Deine klaren Worte,
die mir nicht weh taten
Ich werde die Zeit be-
nutzen, um mit arbeiten
mich weiterbringen
damit bis ich Dir etwas
sein kann
Bis zur letzten
Stunde werde
ich auf Dich warten
Ich möchte Deiner wert
werden, etwas höheres
dünkt mich unmöglich
Ich hoffe auf ein
Steigen der [!] Kristallbild.
:
quer über die Schulter
weg gefältelter Chiffon
darunter der spitze
Ausschnitt, wie geplant
_________________________
Anfang Unsagbar
glücklich bin ich über
Deinen Brief, daß
die Brücken wieder
wachsen zu d wir
können zu d wozu
wir keine Macht ha-
ben daß das alte Flui-
dum, das von mir zu
Dir ging noch nicht
erloschen ist
Auch wie wahr hast
Du geschrieben
Ich sehe Deine gelie
süße Gestalt über
unsere Höhe kommen
und lege mich
nun zur Ruh mit
diesem Traumbild
Ich will Dir helfen,
alles zu beseitigen,
daß [!] Dich am Genuß der
Erinnerungen in
jenen Tagen stören
könnte.
Aber nun hast
Du gesprochen u ich glaube
das Schlagwerk unserer
Herzen geht nun wieder
im gleichen Takt.
was für ein über-
menschliches Glück
wäre es, wenn Dein
Herz jetzt mit dem
meinen fühlen könnte.
Aufwiegen kann
ja einen Himmels-
segen kein Mensch
mit 1000 Proben seiner
Kunst.
Der Gedanke, daß ich Dir aufdrin-
lich erschienen sein könnte, daß
ich Dich gequält hätte, wo ich im
Glauben war größte Liebe zu
betätigen, war \ist/ mir so uner-
träglich, daß ich seit einer
Woche wie im Fieber
lebe.
wie kommt so etwas
______________
weh tat, wo ich lieben
wollte, daß ich aus
Unvorsichtigkeit \Mangel an Beherrschung meiner Leidenschaft/
um meine Sehnsucht
zu stillen Deinen
Ruf gefährdete.
Ach,
Mein spielt mir
– ich habe eine
wahnsinnige Sehnsucht
nach Deiner Musik.
Warum bin ich nicht nie-
dergekniet, als Du mir
in T[oblach] vorspieltest. ich war
so überwältigt, daß ich
stumm war \in jenen Himmelstagen/ und nur
in meine Umarmungen
die Gefühle zu pressen
verstand, die Du wecktest
und Du weißt ja nun,
wie bitter mir die Erkenntnis
war, daß ich auf Dich und Deinen
Zustand aus übergroßer
Leidenschaft nicht imm ge-
nügend Rücksicht nahm,
aber ich habe es nun eben
erkannt.
Ich neige mich vor Dir.
Siegerin.
bin so Dein, wie ich es
nur sein kann
Du hast mir alles
so zart und fein ge-
sagt, ich danke Dir dafür.
Verzeih, was ich fehlte
Ich begreife, daß
Dich das unklare
jugendlich unreife
in mir jetzt nicht
fesselt
Verzeih, wenn ich
in einem Gefühl
der Bedrängnis
das mich fast er-
stickte, unbescheiden
war.
Das Vertrautsein –
denn ich bin
sicher ein verstehender
Mensch und darum
vielleicht praedestiniert
ein Kunstwerk zu
leben. Ich will mich
durchringen zu einer
Höh menschlichen Höhe,
die Deiner würdig
wäre, noch bin ich es
wol nicht. \Habe Geduld mit mir wenn
Rückfälle kommen u nenne mir
meine Fehler/ Ich habe den tiefsten
Wunsch, Werke
kennen zu lernen
Nun gehe ich mit
Fröhlichster Heiterkeit
an die Arbeit.
Meinen ganzen Stolz,
mein ganzes Ich gebe ich Dir
hin
Apparat
Überlieferung
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Quellenbeschreibung
9 Bl. (10 b. S.) – Notizblock.
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
Antwort auf AM111 vom 19. September 1911 (Deine Fehler geschahen nur aus Reinheit – und rein ist alles bei Dir. Warten wir – […] bis unser Wollen gleichstimmig wieder wird): Denn Liebe zu Dir umfaßt meine ganze Existenz […]. Zu welchem Ende – das mögest Du entscheiden. Durch Dich wächst immer das Streben nach größerer Reinheit und Klarheit.
Datierung
Aufgrund der Korrespondenzstelle muss dieser Briefentwurf als Reaktion auf AM111 verfasst worden sein, der erst am 22. September versendet wurde. Bei einer Postlaufzeit von einem Tag kam AM111 demnach am 23. September 1911 an.
Übertragung/Mitarbeit
(Elisabeth Behnle)
Samtkleid – Während des zweiten Toblacher Aufenthalts 1911 entwarfen und zusammen ein Samtkleid für , wahrscheinlich im Vorfeld ihrer Paris-Reise zur Schneiderin (AM107 vom 8. September 1911). Dieser Entwurf findet sich auf der Rückseite eines offenkundig nicht verwendeten Umschlags (unfrankiert: ) an WG: .
Deinen Brief – AM111 vom 19. September 1911.
Deiner Musik – s. WG185 vom 16. August 1911.